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Interpretation des Gedichts „Wegelos“
von Renate Golpon

Dieses Gedicht in zwei- und dreihebigen Versen besteht aus zwei Strophen zu 5 und 3 Zeilen in durchgängig umlaufendem Anapäst-Metrum. Per Zufall (oder war es Absicht?) reimen sich Vers 1 „der“, in Vers 3 „quer“ und in Vers 5 „mehr“.

Die Verse 1 bis 5 lassen vordergründig ein sommerliches Naturbild entstehen, kulminierend in „Wildkräuterweg“ (Vers 2), „Rosen“ (Vers 4) und „Verwildern“ (Vers 5: wild wachsende Pflanzen,
kein menschliches Eingreifen).

Ist dies gleichsam die eine Strebe des sprachlichen Gitters, so besteht die zweite in einer Art negativer Charakterisierung: Der Wildkräuterweg ist „nicht mehr begehbar“ (Vers 1), „vergessen“ (Vers 2), wird also nicht mehr betreten. Im Vers 3 ist die Rede von „Bannmeter“, wortschöpferisch abgeleitet von „Bannmeile“, „durch dornige Rosen geführt“ (Vers 4). Das Ganze wird „niemals mehr beim Verwildern gebremst“ (Vers 5). Das Wort „gebremst“ bringt in die wild-beschauliche Idylle die allgegenwärtige Präsenz der Technik, wobei es durch die Negativform „niemals mehr“ etwas Unausweichliches, nicht mehr Abzuwendendes ausdrückt.

Obwohl keine lyrische Person genannt wird, ist durch die Verschränkung menschliches Schicksal beziehungsweise menschliches Erlebnis „da“. Der negative Akzent des Bildes wird noch verstärkt durch die abgesetzten drei letzten Verse. Es ist die Rede von „Konfrontation mit geschleuderten Worten“ (Verse 6 und 7), was geradezu Assoziationen herausfordert. Mit Absicht heißt es „Worte“ und nicht „Wörter“; sie bilden also einen Zusammenhang. Drei Worte (Schlüsselworte) werden mitgeteilt: „Bruchholz“, „Schneidgräser“, „Zeit“ (Vers 8). Die Assoziationsmöglichkeit zu gefahrvoller, verdorrter Zeit („Bruchholz“) beziehungsweise zu scharfkantiger, verletzender Zeit („Schneidgräser“) ist naheliegend…

Bezeichnend und von besonderer Ausdruckskraft ist auch das Partizip „geschleudert“. Die Worte (also die Lebensumstände) dürfen nicht sorgsam ausgewählt werden, sondern werden „geliefert“,
vor die Füße geworfen. Man muss sie akzeptieren.

 

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Lyrik heute: ohne Reim und ohne Metrum

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